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leseprobe band 11

Brennende Bäume 

 

Daniel sah Cari bei seinem Tanz zu und verstand die Welt nicht mehr. Wollte er ihre Feinde vielleicht zu Tode tanzen? Um Tyler schnell mehrere Nüsse in seinen Mund stopfen zu können, riss er sich kurz von Caris Anblick los, nur um ihn gleich drauf weiter zu beobachten. 

 Mit weit ausgestreckten Armen und seinem Bogen in der rechten Hand tanzte Cari im Kreis um seine Gefährten und ihre Begleiter. Dabei sprach oder vielmehr sang er in einer fremden Sprache. Alle drei bis vier Schritte ließ er außerdem seinen Bogen einmal hart auf den Boden prallen. 

»Was zum Geier…« 

Die Nüsse hatten Tylers Starre sehr schnell aufgehoben. Viel schneller als Daniel zuvor kam er mit einer geschmeidigen Bewegung auf die Beine. 

»Frag nicht. Ich weiß auch nicht, was er da macht. Nimm die Nüsse…«, Daniel drückte Tyler eine Hand voll der Nüsse in seine Hände, »…und steck jedem mindestens eine in den Mund. Ich kümmere mich um unsere Begleiter.« 

Tyler rannte als erstes zu Balek, derweil Daniel auf Aaros losstürmte. Er hoffte inständig, dass die Nüsse auch bei den Tieren wirken würde. 

Und wie sie wirkten! Noch schneller als bei Tyler war Aaros Starre Geschichte. 

»Kümmere dich um Timea, ich helfe Cari.« 

»Du willst ihm helfen?«, fragte Daniel erstaunt. 

»Tu, was ich sage!« 

Eine bisher unbekannte Autorität schwang in Aaros Anweisung mit. Ja, sein Tonfall war eindeutig keine Mitteilung an seinen Herrn, sondern ein Befehl. Ohne weiter darüber nachzudenken, kam Daniel dem nach. 

Im Nu waren alle dank Tylers und Daniel aus ihrer Bewegungslosigkeit befreit. Plötzlich kamen Daniel die Pferde in den Sinn. Was sollten sie mit ihnen machen, wenn es wirklich brenzlig werden sollte? Als hätte Tyler seine Gedanken gehört, rief er seinem Vater zu, dass er sich über sie keine Gedanken machen sollte, weil Antar und Emmy sich um sie kümmerten. Ein Problem weniger. 

Daniel drehte sich erneut Cari zu und sah, dass es ihm die anderen mittlerweile gleichtaten. Baleks Junge vollführte immer noch seine Sprünge und hörte genau in dem Moment auf, als er wieder am Ausgangspunkt seines Veitstanzes angekommen war. 

Ganz ruhig stand er da, seinen Blick den herannahenden Feinden zugewandt. Lässig stützte er sich auf seinen Bogen. Ohne sich umzudrehen, sprach er zu seinen Gefährten. 

»Die Wand wird nicht lange halten. Macht euch bereit für den Kampf.« 

 

*** 

 

Seit mehreren Tagen schon hatte Cari nicht mehr an Tap gedacht. Seine permanente Aufmerksamkeit auf alles um ihn herum hatten ihm dazu keine Zeit gelassen. Als er aber nach dem Abendessen mit gefülltem Bauch neben dem wärmenden Lagerfeuer lag, konnte er es zulassen, dass die Erinnerungen an den Wolfshund wieder hochkamen. 

Sein Vater hatte Tap ursprünglich als Aufpasser ihres Horts erstanden. Mit dem Wolfshund hatte Balek eine exzellente Wahl getroffen. Und dass, ohne damals auch nur im Entferntesten zu ahnen, dass Tap zusätzlich auch noch die Rolle von Caris Begleiter einnehmen würde. 

Cari war gerade einmal zehn Jahre alt gewesen, als sich die beiden fanden. Der damals noch kleine Junge und der da schon riesige Wolfshund wuchsen zu einem unzertrennlichen Paar zusammen. Von da an hatte es nichts mehr gegeben, was einer ohne den anderen unternahm. 

Plötzlich gerieten Caris Gedankengänge ins Stocken, als sich ein undefinierbares Gefühl in ihm ausbreitete. Zunächst war es nur ein Kribbeln auf der Haut, das sich aber nach wenigen Augenblicken schon in seinem Bauch festsetzte. Cari wusste instinktiv, dass die anderen ihm in dem Moment nicht zur Verfügung standen. Doch trotz seiner absoluten Gewissheit drehte er sich nach ihnen um und sah, wie Tyler mit unnatürlich verrenkten Gliedmaßen auf dem Bauch lag. Daniel, er stand in unmittelbare Nähre zu Tyler, war gerade dabei, der Länge nach und steif wie ein Brett nach vorn zu kippen. Alle waren erstarrt. Selbst ihre Begleiter standen unter dem Bann der Starre. Sie lagen noch immer im Kreis um ihre Menschen herum und starrten völlig bewegungslos geradeaus. 

Um all das zu erfassen, brauchte Cari nicht länger als zwei Wimpernschläge. Als er sich dann umdrehte, sah er ihre Feinde anrücken. Obwohl die letzten Sonnenstrahlen von den Wipfeln der Bäume verdeckt und das Licht der zwei Monde den Himmel noch nicht in ihr magisches Licht getaucht hatten. Er sah sie kommen. 

Cari war klar, dass er sie nicht allein besiegen konnte, doch er konnte sie aufhalten. Er dachte gar nicht darüber nach, wie er das anstellen sollte, er tat es einfach. Nicht mehr und nicht weniger. Alles weitere würde in Thorandt und Sethas Händen liegen. 

 

Cari stand in einer Linie zwischen den herannahenden Schatten und dem hinter seinem Rücken lodernden Lagerfeuer. Für ihn fühlte es sich jedoch vielmehr so an, als würde er mitten in den lodernden Flammen stehen, statt einige Schritte von ihnen entfernt. 

Cari war bereit. So bereit, wie niemals zuvor in seinem Leben für irgendetwas. 

Sein Gesicht den Angreifern zugewandt, breitete er seine Arme aus, um sich daraufhin tanzend im Kreis um ihr Lager herum zu bewegen. Mit seinem Bogen, den er fest mit seiner Rechten umklammert hielt, stieß er dabei hin und wieder hart auf den Boden, als wolle er an diesen Stellen etwas markieren. Während er sich so Stück für Stück weiterbewegte, kam ihm eine in der alten Sprache verfasste Weise über seine Lippen. Cari wusste instinktiv, dass in diesem Moment etwas vor sich ging, von dem er Augenblicke zuvor nicht einmal etwas geahnt hatte. Er hatte jedoch keinen Grund, weiter darüber nachzudenken. Alles verlief genauso, wie es verlaufen musste. 

Mit jedem Schritt wurden seine Bewegungen schneller und fließender. Und selbst als er aus den Augenwinkeln heraus mitbekam, dass sich seine Gefährten und ihre Begleiter wieder bewegten, hielt Cari nicht inne. Sein skurriler Tanz und Gesang dauerten so lange an, bis er den Kreis um ihr Lager geschlossen hatte. Als seine Arbeit schließlich getan war, trat er einen Schritt von seiner getanzten Linie zurück und besah sich sein Werk. Er war auf der ganzen Linie zufrieden. 

Seine erste Aufgabe war damit beendet. 

 

*** 

 

Trok war als letzter von Daniel aus der Starre erlöst worden, woraufhin er sich wieder auf Cari konzentrierte. Der Junge hatte gerade seinen Tanz beendet und war einige Schritte rückwärts auf seine Gefährten zugegangen. Dann nickte er zufrieden und drehte sich der Gruppe zu. 

»Macht euch für unsere Verteidigung bereit. Momentan können sie nicht zu uns durchdringen.« 

Caris Aufforderung klang so zuversichtlich, so selbstverständlich, dass Daniel sie fast glauben wollte. Aber da waren immer noch die Schatten mit ihren Waffen. Sie kamen schnell näher und gleich würden sie… 

»Er hat einen Schutzzauber erwirkt.« 

Aaros Stimme dröhnte durch Daniels Gedanken. 

»Einen was?« Daniel sprach die Worte so laut aus, dass ihn die anderen verständnislos ansahen. »Er hat was getan? Einen Schutzzauber erwirkt? Das ist doch wohl nicht…« 

»Seht doch!« 

Alicia zeigte mit einem Arm in Caris Richtung. Allerdings nicht genau auf ihn, sondern ein gutes Stück über ihn. 

Hoch über Cari schien etwas zu schweben. Und nicht nur über, sondern auch vor und neben ihm. Daniel drehte sich um. Alles außerhalb des Kreises war nur noch verschwommen zu erkennen. Während er noch darüber nachdachte, was das bedeuten könnte, riss ihn Timea aus seinen Gedankengängen. 

»Der Zauber wird nicht lange halten. Wir müssen uns auf den Kampf vorbereiten.« 

Meinte Timea das ernst? Wie kämpfte man denn gegen Schatten? 

»Es sind Bäume, keine Schatten.« 

Ach so. Es waren also nur Bäume, die da mit Waffen gegen sie anrannten. Da hatten sie aber wirklich noch einmal Glück gehabt. 

Daniels Sarkasmus entsprang seinem Unglauben und seiner stetig größer werdenden Angst. Doch es half alles nichts. Die Gefahr stand direkt vor ihnen und sie mussten sich ihr stellen. 

Als er nach seinen Gefährten und ihren Begleiter sah, bemerkte Daniel, dass sich die anderen bereits mit voller Bewaffnung am Rand des Schutzkreises postiert hatten. Sofort rannte er zu Tyler rüber. Er würde mit ihm Seite an Seite kämpfen und ihn nicht aus den Augen lassen. Noch immer war es tief in ihm verankert, dass er seinen Sohn beschützen musste. Dabei lief das schon lange genau andersherum. 

»Was sind das für Schatten, Tyler? Timea sagte etwas von…« 

»Vertrau ihr einfach, Dad. Es sind Bäume.« 

»Bäume?« 

»Ja, Bäume. Aber nicht nur.« Tyler zeigte zu einer Stelle links von ihnen. »Siehst du die da hinten? Die sehen eher klein aus.« 

Daniel sah in die angezeigte Richtung und sah es jetzt auch. Neben den großen Schatten gab es auch kleinere. Er kniff seine Augen zusammen, um ihre Umrisse erkennen zu können. Sie sahen aus wie … 

»Die kleineren Schatten sind Wölfe und Bären.« 

Balek hatte so laut geschrien, dass ihn vermutlich selbst die Bewohner Koruns gehört hatten. 

»Sind es die Wölfe, von denen wir auf dem Weg nach Korun angegriffen wurden?«, schrie Daniel zurück. 

»Ich weiß es nicht. Aber wenn sie es sind, haben sie sich dieses Mal eine Menge an Verstärkung mitgebracht.« 

Der Schrei eines Adlers, der sich in der Stille der Dämmerung wie ein drohendes Unheil anhörte, hallte durch die aufkommende Nacht. Als hätte er nur darauf gewartet, spurtete Jokull zu ihrem Lagerfeuer. Dort angekommen warf er alles Holz in die Flammen, das sie für die Nacht bereitgelegt hatten. Sofort flammte das Feuer auf und zuckte fast zwei Meter weiter nach oben. 

»Was soll das werden, Jokull? Wir werden das Holz noch brauchen.« 

Wie als Antwort auf Daniels Frage schoss plötzlich Afgur wie ein geflügelter Geist aus dem schwarzen Himmel über die erhellte Lichtung. Seine starken Klauen ergriffen das brennende Holzscheit, das ihm sein Herr entgegenhielt, um gleich darauf mit ihm in den nächtlichen Himmel aufzusteigen. Daniel wusste sofort, was die beiden vorhatten. Warum war er nicht selbst längst schon darauf gekommen? Bäume waren aus Holz und Holz brannte, wenn es mit Feuer in Berührung kam. Selbst dann, wenn es laufen konnte. 

Er rannte zum Lagerfeuer. Unterwegs riss er ein Büschel trockenes Gras aus, das er um die Spitze einer seiner Pfeile wickelte. Am Feuer angekommen, entzündete er das Gras, um es mit einem Pfeil ihren Feinden entgegenzuschleudern. Der brennende Pfeil fand sein Ziel in einem der größeren Schatten. Augenblicklich leckte das Feuer gierig nach dem Holz des Feindes und hüllte ihn schnell in ein Gewand aus in den Himmel zuckenden Flammen ein. Nur einen Augenblick später überflog Afgur die Angreifer und ließ sein brennendes Scheit fallen. Auch er traf sein Ziel, woraufhin ein weiterer Feind in hellem Feuerschein erstrahlte. 

Die brennenden Bäume tauchten die Szenerie in ein gespenstiges Licht. Ein großer Teil der Lichtung wurde dadurch erhellt und ermöglichte den Gefährten, sich die Schar der Angreifer in Gänze anzuschauen. Zumindest glaubte Daniel, dass dem so wäre. Doch wurde ihm schnell klargemacht, dass er sich irrte. 

»Sie kommen von allen Seiten!« 

Der Prinz, der sich mit seiner Schwester an Tylers Seite an der gegenüberliegenden Seite des Lagers postiert hatte, schrie aus Leibeskräften. 

Ohne lange zu überlegen, schoss Daniel einen zweiten Pfeil in die Richtung, in die Gideans Arm zeigte. Zwar traf er dieses Mal keinen Baum, dafür aber einen sehr zotteligen Angreifer, dessen Fell sofort in Flammen aufging. Das Tier, im hellen Schein seines brennenden Pelzes als Bär erkennbar, brüllte laut auf und rannte panisch quer über die Lichtung. Sein lautstarker Rückzug hatte zwei Effekte. Bei seiner Flucht kreuz und quer über die Lichtung konnten die Gefährten genau sehen, dass sie von Bäumen, Wölfen und Bären umzingelt waren. Ganz nebenbei prallte er bei seinem Zick-Zack Kurs aber auch mit seinen Kumpanen zusammen, so dass die ihn einhüllenden Flammen auch auf sie übergriffen. 

Als der Bär fast eine komplette Runde um die Lichtung zurückgelegt hatte, brach er schließlich tot zusammen. Alles Leben, was er bis dahin mit dem Feuer angesteckt hatte, schrie wir verrückt und rannte ebenfalls wie von der Tarantel gestochen in alle Richtung auf und davon. Nur die Bäume blieben in ihrem Todeskampf stumm, was Daniel noch viel gruseliger vorkam als die lauten Todesschreie der Tiere. Doch trotz des entsetzlichen Horrors, dem er sich ausgesetzt sah, verspürte er kein Mitleid. Hier waren dunkle Mächte am Werk, die es auf ihr Leben abgesehen hatten.  

Brennende Bäume 

 

Daniel sah Cari bei seinem Tanz zu und verstand die Welt nicht mehr. Wollte er ihre Feinde vielleicht zu Tode tanzen? Um Tyler schnell mehrere Nüsse in seinen Mund stopfen zu können, riss er sich kurz von Caris Anblick los, nur um ihn gleich drauf weiter zu beobachten. 

 Mit weit ausgestreckten Armen und seinem Bogen in der rechten Hand tanzte Cari im Kreis um seine Gefährten und ihre Begleiter. Dabei sprach oder vielmehr sang er in einer fremden Sprache. Alle drei bis vier Schritte ließ er außerdem seinen Bogen einmal hart auf den Boden prallen. 

»Was zum Geier…« 

Die Nüsse hatten Tylers Starre sehr schnell aufgehoben. Viel schneller als Daniel zuvor kam er mit einer geschmeidigen Bewegung auf die Beine. 

»Frag nicht. Ich weiß auch nicht, was er da macht. Nimm die Nüsse…«, Daniel drückte Tyler eine Hand voll der Nüsse in seine Hände, »…und steck jedem mindestens eine in den Mund. Ich kümmere mich um unsere Begleiter.« 

Tyler rannte als erstes zu Balek, derweil Daniel auf Aaros losstürmte. Er hoffte inständig, dass die Nüsse auch bei den Tieren wirken würde. 

Und wie sie wirkten! Noch schneller als bei Tyler war Aaros Starre Geschichte. 

»Kümmere dich um Timea, ich helfe Cari.« 

»Du willst ihm helfen?«, fragte Daniel erstaunt. 

»Tu, was ich sage!« 

Eine bisher unbekannte Autorität schwang in Aaros Anweisung mit. Ja, sein Tonfall war eindeutig keine Mitteilung an seinen Herrn, sondern ein Befehl. Ohne weiter darüber nachzudenken, kam Daniel dem nach. 

Im Nu waren alle dank Tylers und Daniel aus ihrer Bewegungslosigkeit befreit. Plötzlich kamen Daniel die Pferde in den Sinn. Was sollten sie mit ihnen machen, wenn es wirklich brenzlig werden sollte? Als hätte Tyler seine Gedanken gehört, rief er seinem Vater zu, dass er sich über sie keine Gedanken machen sollte, weil Antar und Emmy sich um sie kümmerten. Ein Problem weniger. 

Daniel drehte sich erneut Cari zu und sah, dass es ihm die anderen mittlerweile gleichtaten. Baleks Junge vollführte immer noch seine Sprünge und hörte genau in dem Moment auf, als er wieder am Ausgangspunkt seines Veitstanzes angekommen war. 

Ganz ruhig stand er da, seinen Blick den herannahenden Feinden zugewandt. Lässig stützte er sich auf seinen Bogen. Ohne sich umzudrehen, sprach er zu seinen Gefährten. 

»Die Wand wird nicht lange halten. Macht euch bereit für den Kampf.« 

 

*** 

 

Seit mehreren Tagen schon hatte Cari nicht mehr an Tap gedacht. Seine permanente Aufmerksamkeit auf alles um ihn herum hatten ihm dazu keine Zeit gelassen. Als er aber nach dem Abendessen mit gefülltem Bauch neben dem wärmenden Lagerfeuer lag, konnte er es zulassen, dass die Erinnerungen an den Wolfshund wieder hochkamen. 

Sein Vater hatte Tap ursprünglich als Aufpasser ihres Horts erstanden. Mit dem Wolfshund hatte Balek eine exzellente Wahl getroffen. Und dass, ohne damals auch nur im Entferntesten zu ahnen, dass Tap zusätzlich auch noch die Rolle von Caris Begleiter einnehmen würde. 

Cari war gerade einmal zehn Jahre alt gewesen, als sich die beiden fanden. Der damals noch kleine Junge und der da schon riesige Wolfshund wuchsen zu einem unzertrennlichen Paar zusammen. Von da an hatte es nichts mehr gegeben, was einer ohne den anderen unternahm. 

Plötzlich gerieten Caris Gedankengänge ins Stocken, als sich ein undefinierbares Gefühl in ihm ausbreitete. Zunächst war es nur ein Kribbeln auf der Haut, das sich aber nach wenigen Augenblicken schon in seinem Bauch festsetzte. Cari wusste instinktiv, dass die anderen ihm in dem Moment nicht zur Verfügung standen. Doch trotz seiner absoluten Gewissheit drehte er sich nach ihnen um und sah, wie Tyler mit unnatürlich verrenkten Gliedmaßen auf dem Bauch lag. Daniel, er stand in unmittelbare Nähre zu Tyler, war gerade dabei, der Länge nach und steif wie ein Brett nach vorn zu kippen. Alle waren erstarrt. Selbst ihre Begleiter standen unter dem Bann der Starre. Sie lagen noch immer im Kreis um ihre Menschen herum und starrten völlig bewegungslos geradeaus. 

Um all das zu erfassen, brauchte Cari nicht länger als zwei Wimpernschläge. Als er sich dann umdrehte, sah er ihre Feinde anrücken. Obwohl die letzten Sonnenstrahlen von den Wipfeln der Bäume verdeckt und das Licht der zwei Monde den Himmel noch nicht in ihr magisches Licht getaucht hatten. Er sah sie kommen. 

Cari war klar, dass er sie nicht allein besiegen konnte, doch er konnte sie aufhalten. Er dachte gar nicht darüber nach, wie er das anstellen sollte, er tat es einfach. Nicht mehr und nicht weniger. Alles weitere würde in Thorandt und Sethas Händen liegen. 

 

Cari stand in einer Linie zwischen den herannahenden Schatten und dem hinter seinem Rücken lodernden Lagerfeuer. Für ihn fühlte es sich jedoch vielmehr so an, als würde er mitten in den lodernden Flammen stehen, statt einige Schritte von ihnen entfernt. 

Cari war bereit. So bereit, wie niemals zuvor in seinem Leben für irgendetwas. 

Sein Gesicht den Angreifern zugewandt, breitete er seine Arme aus, um sich daraufhin tanzend im Kreis um ihr Lager herum zu bewegen. Mit seinem Bogen, den er fest mit seiner Rechten umklammert hielt, stieß er dabei hin und wieder hart auf den Boden, als wolle er an diesen Stellen etwas markieren. Während er sich so Stück für Stück weiterbewegte, kam ihm eine in der alten Sprache verfasste Weise über seine Lippen. Cari wusste instinktiv, dass in diesem Moment etwas vor sich ging, von dem er Augenblicke zuvor nicht einmal etwas geahnt hatte. Er hatte jedoch keinen Grund, weiter darüber nachzudenken. Alles verlief genauso, wie es verlaufen musste. 

Mit jedem Schritt wurden seine Bewegungen schneller und fließender. Und selbst als er aus den Augenwinkeln heraus mitbekam, dass sich seine Gefährten und ihre Begleiter wieder bewegten, hielt Cari nicht inne. Sein skurriler Tanz und Gesang dauerten so lange an, bis er den Kreis um ihr Lager geschlossen hatte. Als seine Arbeit schließlich getan war, trat er einen Schritt von seiner getanzten Linie zurück und besah sich sein Werk. Er war auf der ganzen Linie zufrieden. 

Seine erste Aufgabe war damit beendet. 

 

*** 

 

Trok war als letzter von Daniel aus der Starre erlöst worden, woraufhin er sich wieder auf Cari konzentrierte. Der Junge hatte gerade seinen Tanz beendet und war einige Schritte rückwärts auf seine Gefährten zugegangen. Dann nickte er zufrieden und drehte sich der Gruppe zu. 

»Macht euch für unsere Verteidigung bereit. Momentan können sie nicht zu uns durchdringen.« 

Caris Aufforderung klang so zuversichtlich, so selbstverständlich, dass Daniel sie fast glauben wollte. Aber da waren immer noch die Schatten mit ihren Waffen. Sie kamen schnell näher und gleich würden sie… 

»Er hat einen Schutzzauber erwirkt.« 

Aaros Stimme dröhnte durch Daniels Gedanken. 

»Einen was?« Daniel sprach die Worte so laut aus, dass ihn die anderen verständnislos ansahen. »Er hat was getan? Einen Schutzzauber erwirkt? Das ist doch wohl nicht…« 

»Seht doch!« 

Alicia zeigte mit einem Arm in Caris Richtung. Allerdings nicht genau auf ihn, sondern ein gutes Stück über ihn. 

Hoch über Cari schien etwas zu schweben. Und nicht nur über, sondern auch vor und neben ihm. Daniel drehte sich um. Alles außerhalb des Kreises war nur noch verschwommen zu erkennen. Während er noch darüber nachdachte, was das bedeuten könnte, riss ihn Timea aus seinen Gedankengängen. 

»Der Zauber wird nicht lange halten. Wir müssen uns auf den Kampf vorbereiten.« 

Meinte Timea das ernst? Wie kämpfte man denn gegen Schatten? 

»Es sind Bäume, keine Schatten.« 

Ach so. Es waren also nur Bäume, die da mit Waffen gegen sie anrannten. Da hatten sie aber wirklich noch einmal Glück gehabt. 

Daniels Sarkasmus entsprang seinem Unglauben und seiner stetig größer werdenden Angst. Doch es half alles nichts. Die Gefahr stand direkt vor ihnen und sie mussten sich ihr stellen. 

Als er nach seinen Gefährten und ihren Begleiter sah, bemerkte Daniel, dass sich die anderen bereits mit voller Bewaffnung am Rand des Schutzkreises postiert hatten. Sofort rannte er zu Tyler rüber. Er würde mit ihm Seite an Seite kämpfen und ihn nicht aus den Augen lassen. Noch immer war es tief in ihm verankert, dass er seinen Sohn beschützen musste. Dabei lief das schon lange genau andersherum. 

»Was sind das für Schatten, Tyler? Timea sagte etwas von…« 

»Vertrau ihr einfach, Dad. Es sind Bäume.« 

»Bäume?« 

»Ja, Bäume. Aber nicht nur.« Tyler zeigte zu einer Stelle links von ihnen. »Siehst du die da hinten? Die sehen eher klein aus.« 

Daniel sah in die angezeigte Richtung und sah es jetzt auch. Neben den großen Schatten gab es auch kleinere. Er kniff seine Augen zusammen, um ihre Umrisse erkennen zu können. Sie sahen aus wie … 

»Die kleineren Schatten sind Wölfe und Bären.« 

Balek hatte so laut geschrien, dass ihn vermutlich selbst die Bewohner Koruns gehört hatten. 

»Sind es die Wölfe, von denen wir auf dem Weg nach Korun angegriffen wurden?«, schrie Daniel zurück. 

»Ich weiß es nicht. Aber wenn sie es sind, haben sie sich dieses Mal eine Menge an Verstärkung mitgebracht.« 

Der Schrei eines Adlers, der sich in der Stille der Dämmerung wie ein drohendes Unheil anhörte, hallte durch die aufkommende Nacht. Als hätte er nur darauf gewartet, spurtete Jokull zu ihrem Lagerfeuer. Dort angekommen warf er alles Holz in die Flammen, das sie für die Nacht bereitgelegt hatten. Sofort flammte das Feuer auf und zuckte fast zwei Meter weiter nach oben. 

»Was soll das werden, Jokull? Wir werden das Holz noch brauchen.« 

Wie als Antwort auf Daniels Frage schoss plötzlich Afgur wie ein geflügelter Geist aus dem schwarzen Himmel über die erhellte Lichtung. Seine starken Klauen ergriffen das brennende Holzscheit, das ihm sein Herr entgegenhielt, um gleich darauf mit ihm in den nächtlichen Himmel aufzusteigen. Daniel wusste sofort, was die beiden vorhatten. Warum war er nicht selbst längst schon darauf gekommen? Bäume waren aus Holz und Holz brannte, wenn es mit Feuer in Berührung kam. Selbst dann, wenn es laufen konnte. 

Er rannte zum Lagerfeuer. Unterwegs riss er ein Büschel trockenes Gras aus, das er um die Spitze einer seiner Pfeile wickelte. Am Feuer angekommen, entzündete er das Gras, um es mit einem Pfeil ihren Feinden entgegenzuschleudern. Der brennende Pfeil fand sein Ziel in einem der größeren Schatten. Augenblicklich leckte das Feuer gierig nach dem Holz des Feindes und hüllte ihn schnell in ein Gewand aus in den Himmel zuckenden Flammen ein. Nur einen Augenblick später überflog Afgur die Angreifer und ließ sein brennendes Scheit fallen. Auch er traf sein Ziel, woraufhin ein weiterer Feind in hellem Feuerschein erstrahlte. 

Die brennenden Bäume tauchten die Szenerie in ein gespenstiges Licht. Ein großer Teil der Lichtung wurde dadurch erhellt und ermöglichte den Gefährten, sich die Schar der Angreifer in Gänze anzuschauen. Zumindest glaubte Daniel, dass dem so wäre. Doch wurde ihm schnell klargemacht, dass er sich irrte. 

»Sie kommen von allen Seiten!« 

Der Prinz, der sich mit seiner Schwester an Tylers Seite an der gegenüberliegenden Seite des Lagers postiert hatte, schrie aus Leibeskräften. 

Ohne lange zu überlegen, schoss Daniel einen zweiten Pfeil in die Richtung, in die Gideans Arm zeigte. Zwar traf er dieses Mal keinen Baum, dafür aber einen sehr zotteligen Angreifer, dessen Fell sofort in Flammen aufging. Das Tier, im hellen Schein seines brennenden Pelzes als Bär erkennbar, brüllte laut auf und rannte panisch quer über die Lichtung. Sein lautstarker Rückzug hatte zwei Effekte. Bei seiner Flucht kreuz und quer über die Lichtung konnten die Gefährten genau sehen, dass sie von Bäumen, Wölfen und Bären umzingelt waren. Ganz nebenbei prallte er bei seinem Zick-Zack Kurs aber auch mit seinen Kumpanen zusammen, so dass die ihn einhüllenden Flammen auch auf sie übergriffen. 

Als der Bär fast eine komplette Runde um die Lichtung zurückgelegt hatte, brach er schließlich tot zusammen. Alles Leben, was er bis dahin mit dem Feuer angesteckt hatte, schrie wir verrückt und rannte ebenfalls wie von der Tarantel gestochen in alle Richtung auf und davon. Nur die Bäume blieben in ihrem Todeskampf stumm, was Daniel noch viel gruseliger vorkam als die lauten Todesschreie der Tiere. Doch trotz des entsetzlichen Horrors, dem er sich ausgesetzt sah, verspürte er kein Mitleid. Hier waren dunkle Mächte am Werk, die es auf ihr Leben abgesehen hatten.  

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