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leseprobe band 111

Die Stadtmauern lagen gerade erst hinter ihm, als die Witterung der Damagoi durch Mantors empfindliche Nase zog. Er hatte Shrooht befohlen, mit seinen Bestien so weit entfernt vor der Stadt zu lagern, dass die Menschen in der Stadt keine Notiz mehr von ihnen nehmen konnten. Seit sie vor kurzem erst in Varontyr ihr Unwesen getrieben und Teile der Stadt verwüstet hatten, waren diese armseligen Zweibeiner nicht gut auf sie zu sprechen. Und obwohl sie Mantor völlig egal waren, brauchte er doch ihre Gunst, wenn er seine Ziele erreichen wollte. 

Mantor stand auf dem höchsten Punkt einer kleinen Anhöhe, als er die Herde endlich sehen konnte. Seine Eliteeinheit. Shrooht saß gemeinsam mit Hauptmann Breda mitten unter ihnen, was selbst für einen Nordbären sehr gewagt aussah. Immerhin handelte es sich bei den Damagoi um einhundert der blutrünstigsten ihrer Art. Wenn ihre geballte Kraft erst einmal ins Rollen kam, würde es für jedes Lebewesen in ihrer Nähe lebensgefährlich werden. Doch Shroohts Ruhe bewies Mantor aufs Neue, dass er nicht nur der Ausbilder dieser Monstren, sondern auch ihr Anführer war. Und er hatte ihnen selbst Breda in allerkürzester Zeit als ihren Freund präsentieren können. Mantor gefiel, was er sah. 

»Seid ihr bereit, den Weg nach Norden einzuschlagen?« 

Als Shrooht Mantors Stimme in seinem Kopf vernahm, sprang er blitzschnell auf und bellte seiner Meute einige Befehl zu, die Mantor nicht verstand. Es hörte sich für ihn an, als hätte Shrooht aus den Lauten der verschiedenen Damagoi-Arten eine eigene Kommandosprache entwickelt, mit der er seine Soldaten fest im Griff hatte. Und wie er sie im Griff hatte. Die Tiere standen derart schnell in Reih und Glied vor ihm, dass Mantor sich einer gewissen Bewunderung für das, was er sah, nicht erwehren konnte. Auf diese Truppe würde er sich verlassen können, so viel war klar. Breda versuchte es derweil, den Damagoi gleichzutun, was allerdings ziemlich planlos aussah, als er seinen Platz in dem ganzen Tohuwabohu suchte Und schließlich neben Shrooht fand.  

»Mein König? Befehlt und wir werden gehorchen!« 

Shrooht brüllte seine Antwort lauthals über die Ebene. Als er dann noch seinen rechten Arm hoch in die Luft reckte, ertönte sofort ein Gebrüll aus sämtlichen Damagoi-Kehlen, die ganz sicher noch in den Kerkern des Schlosses in Varontyr gehört wurden. 

»Das ist genau die Antwort, die ich erwartet hatte.« 

Mantor glaubte nicht, dass Shrooht, Breda oder auch nur eines der zwar starken, jedoch sehr einfach gestrickten Untiere seine Antwort mitbekommen hatte. Doch das war auch nicht wichtig, denn er hatte eh mehr zu sich selbst gesprochen. Doch das folgende sollten sie hören. Sie alle. Und alle sollten sehen, wer da zu ihnen sprach. 

Bewusst langsam richtete sich Mantor auf seine Hinterläufe auf, bis er in voller Pracht vor seiner kleinen Armee stand. Die Meute verstand die Bedeutung dieser Geste sofort und gab augenblicklich Ruhe. Zuerst von links nach rechts und dann von rechts nach links sah Mantor über seine Soldaten, bevor er sie direkt ansprach. Einfache Worte für einfache Wesen, die nur einem Zweck dienten. Sie traten an, um seinen Machtanspruch in seiner Heimat zu unterstreichen. 

»Es wird euer Sieg werden!« 

Mehr als diese fünf Worte brauchte es nicht, um ein erneutes und dieses Mal selbst für Mantor ohrenbetäubendes Gebrüll aus hundert Kehlen zu erzeugen. Die Damagoi brüllten und stampften zeitgleich mit ihren Hufen und Pfoten auf den harten Boden, dass Mantor schon glaubte, sie würden außer Rand und Band geraten. Doch das Ganze dauerte nur so lange, bis Shrooht sich zu ihnen umdrehte und ihnen eines seiner unverständlichen Kommandos entgegenbrüllte. Augenblicklich kehrte wieder Ruhe ein und nur kurz darauf standen sie wieder in Reih und Glied vor ihrem Kommandanten. 

»Ich bin beeindruckt, Shrooht.« 

Mehr gab es nicht zu sagen. 

Mantor ließ sich wieder auf seine vier Beine herabsinken und wandte sich nach Nordwesten. In dieser Richtung lag der Hafen, von wo aus sie ihren Weg über das Nordmeer antreten würden. Dann verfiel er in einen leichten Trab, den er mühelos die nächsten Tage durchhalten konnte, bis er das Meer erreicht hatte. Shrooht mit seiner Meute würde ihm eh nicht folgen können, also würde er seiner Truppe vorauseilen. Er war ein Nordbär und damit in der Lage, Distanzen am Stück zu überwinden, wie es kein anderes Wesen schaffte. 

 

Der schnellste Weg nach Nordhang verlief direkt durch den Mandarwald. Ein Wald, der komplett aus dicht aneinander stehenden, turmhohen Mandarus-Bäumen bestand. Für Mantor stellte das kein Problem dar. Er war allein und wendig genug, um den Wald problemlos zu durchqueren. Die Damagoi allerdings würde hier Gefahr laufen, dass sie sich im Wald trennte und das wollte Mantor nicht riskieren. Er hatte im Vorfeld ihrer Reise zu den Bäreninsel mit Shrooht vereinbart, dass er seine Armee um den Wald herumführen sollte. Auch auf die Gefahr hin, dass er dafür deutlich länger brauchte als sein König. 

Mantor war schon so lange unterwegs, dass das Getrampel seiner Armee seine empfindlichen Ohren nicht mehr erreichte. Er war jetzt allein mit sich und seinen Gedanken. Seine Laune war so gut, wie lange nicht mehr. Er hatte sich geschworen, sich so lange nicht mit den Problemen seines Königseins und zu beschäftigen, bis seine Reise hinter ihm lag. Bis dahin, da war er sich sicher, würde Yak alles genauso machen, wie er es selbst getan hatte. Und so viel gab es ja auch momentan nicht zu tun.  

Am Abend des ersten Tages, Mantor hatte den Wald noch nicht erreicht, legte er seine erste Laufpause ein. Nicht, dass er müde war. Keineswegs. Es wollte nur vermeiden, deutlich früher als Shrooht und die Damagoi Nordhang zu erreichen. In einer Senke, direkt neben einem kleinen Bach, aus dem Mantor ausgiebig trank, ließ er sich nieder. Rings um ihn herum gab es nur die Laute der Natur, die er so lange nicht gehört und DIE ER schmerzlich vermisst hatte, wie ihm jetzt auffiel. Keine dummen Menschen, nicht eine ihrer widerlichen Tölen und auch kein Yak, dem er sagen musste, was er zu tun hatte. Oder den er wieder einmal in die Richtung lenken musste, die Mantor einschlagen wollte und worauf Yak nicht von allein kam. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie anstrengend das alles war und wie viel Zeit er damit verbrachte, Aufgaben zu erledigen, die er eigentlich verabscheute. Hatte er nicht schon als Brocks Oberbefehlshaber und General immer nur politisch agieren müssen, um dorthin zu kommen, wo er jetzt war? Auf dem ihm gebührenden Thron Varons? Und wie sah sein Leben jetzt aus? Noch immer bestand der Großteil seiner Zeit aus Ränkeschmieden und Überzeugungsarbeit. Vor allen Dingen bei Yak. 

Yak. Immer wieder Yak. Ja, er war sein ältester und treuester Freund. Und dazu auch noch der einzige Freund, den Mantor jemals hatte, nachdem ihn Brock von den Bäreninseln nach Varontyr gebracht hatte. Seither hatte er lernen müssen, dass Macht untrennbar mit all dem zu tun hatte, was sein Leben jetzt ausmachte. Zunächst Unterwürfigkeit seinem Herrn gegenüber und später der Aufbau seiner eigenen Macht. Das hatte ihn so weit gebracht, dass er selbst den Tod seines eigenen Bruders in Kauf genommen hatte. 

Als Mantor noch sehr jung war, war Serk sein Vorbild gewesen. Er war damals riesig groß und stärker als jeder andere ihrer Art. Aber obwohl er so stark war und ein hohes Ansehen genoss, hatte Serk keinerlei Führungsansprüche an seine Sippe gestellt. Das war etwas, was der kleine Mantor nicht verstanden hatte. Für ihn bedeutete Kraft immer auch Macht. Und Macht, so glaubte er damals schon, Macht bedeutete frei zu sein und von allen anderen respektiert zu werden. Für ihn war ein Nordbär schon damals nur dann ein wahrhaft großer Nordbär, wenn er große Macht besaß. Und Mantor wollte respektiert werden. Ohne den Respekt aller anderen um ihn herum zu leben, hatte er sich niemals vorstellen können. Dass Serk damals genau dieser Respekt innerhalb der Gemeinschaft aller Nordbären entgegengebracht wurde, hatte Mantor in jungen Jahren nicht verstanden. Oder vielleicht hatte er das damals nur nicht verstehen wollen? Heute wusste er es nicht mehr und jetzt war es auch egal. Serk war tot. Von ihm getötet. Zwar in einem ehrlichen Kampf, aber am Ende doch von ihm. 

Mantors Gedankengänge hatten ihn wütend gemacht. Und dass er jetzt wütend war, machte ihn noch viel wütender. Als es immer mehr in ihm zu brodeln anfing, hörte er plötzlich ein Geräusch, das hier nicht hingehörte. Automatisch erhob er sich, drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam und machte sich zum Kampf bereit. Er spannte seine gewaltigen Muskelberge an, um für jeden Feind noch bedrohlicher auszusehen. Dabei standen seine Ohren senkrecht und nach vorn gerichtet. Doch als nächstes nahm er eine ihm vertraute Witterung auf, die seinen inneren Alarm abschwächte. Allerdings… 

Was bei Thorandt und Setha machte Breda hier? 

Kurz darauf sah Mantor den Hauptmann auf seinem Pferd am Rand der Senke. Und da Mantors weißer Pelz von dort aus nicht sicher zu übersehen war, fand auch Breda sein Ziel sogleich. Er stieß seinem Pferd die Stiefel in die Flanken und ritt seinem König entgegen. Mantor ließ ihn gewähren, ohne dass er Breda ansprach. Doch mit jedem Schritt, den sich sein Hauptmann ihm näherte, wuchs seine Wut ein Stück mehr an. Seine Befehle waren klar gewesen. Shrooht und Breda sollten gemeinsam die Damagoi bis nach Nordhang führen, während er die Abkürzung durch den Mandarwald nehmen würde. Und diese Entscheidung war nicht nur den Damagoi geschuldet. Vielmehr hatte Mantor sich darauf gefreut, einige Tage allein unterwegs zu sein. Ohne Verpflichtungen, ohne Verantwortung für andere und ohne, dass er Befehle erteilen musste. Und jetzt stand dieser Trottel von einem Zweibeiner mit seinem Gaul vor ihm und grinste ihn dämlich an. Gerade so, als würde er auch noch eine Belobigung dafür erwarten, dass er seinem König gefolgt war. Was glaubte dieser Idiot eigentlich, wer er war? Ging er vielleicht davon aus, dass Mantor ihn bevorzugt behandeln würde, weil er ihm vor ihrer Abreise Honig ums Maul geschmiert hatte? Oder hatte er das beim Anlegen der Rüstung nur getan, um an seiner Seite stehen zu dürfen? 

»Mein König!« 

Mit einem Satz war Breda aus dem Sattel gesprungen und kniete sogleich demütig vor seinem König nieder. Seinen Kopf hielt er zu Boden gesenkt und seine rechte Hand lag zur Faust geballt auf seinem Herzen. Mantor wusste, dass Breda so lange in dieser Stellung verharren würde, bis er ihn ansprach. Aber er dachte gar nicht daran, ihm diese Gunst zu erweisen. Von ihm aus konnte der Kerl verrotten und umkippen, sobald ihn seine Beine nicht mehr trugen. Und das war durchaus eine Gunst, die er diesem erbärmlichen Menschen erwies. Hätte er in diesem Moment seinem Zorn freie Bahn gelassen, wäre in seiner Leibgarde der Posten eines Hauptmanns frei geworden. 

Es war ein skurriles Bild. Ein Mensch kniete in demütiger Haltung vor einem Nordbären, der beinahe so groß wie das Pferd war. Und genau wie Mantor es geahnt hatte, sah er schon bald mit Vergnügen, dass Bredas Körper zu zittern begann. Es amüsierte ihn königlich, wieder einmal die Unzulänglichkeit eines menschlichen Körpers vorgeführt zu bekommen. Er selbst hingegen stand wie in Stein gemeißelt da und dachte nicht im Traum daran, diesen jämmerlichen Kerl zu erlösen. Er war entgegen seinem Befehl hier und nun würde er spüren, was es bedeutete, wenn man sich nicht an seine Befehle hielt.  

Sie Sonne stand bereits ein beträchtliches Stück weiter im Westen, als das Pferd zum Bach trottete, um zu saufen. Breda hingegen kniete noch immer vor ihm. Nur dass sein Körper mittlerweile zitterte, wie ein Lämmerschwanz und ihm der Schweiß von der Nasenspitze tropfte. Mantor hatte seinen Spaß an dem Bild. Er wollte sehen, wie der Kerl aufgab, alles andere interessierte ihn jetzt nicht mehr. Und was er dann machen würde… Nun. Erst einmal sollte er zusammenbrechen. Der Rest würde aus seiner Laune heraus entstehen. 

Doch Breda war ein zäher Hund, Zittern hin oder her. Mantor war sicher, dass sein Hauptmann die Situation richtig gedeutet hatte. Anderenfalls hätte er längst unter irgendeinem Vorwand zumindest seinen Kopf angehoben, um Mantor anzusehen. Doch den Gefallen tat er seinem König nicht. Doch das war Mantor egal. Nordbären konnten stundenlang bewegungslos bleiben, um auf der Jagd ihre Beute zu beobachten. Und das hier machte ihm deutlich mehr Spaß als eine Jagd. 

Als die Sonne im Westen den Horizont berührte und die beiden Monde ihre Umrisse am abendlichen Himmel zeigten, waren Bredas Reserven endgültig am Ende. Wie in Zeitlupe kippte er lautlos zur Seite. Nach der langen Haltung in knieender Stellung war sein Körper derart verkrampft, dass er jetzt in gleicher Stellung am Boden lag, in der er vorher gekniet hatte. Hätte Mantor laut lachen können, hätte man sein Gegröle bis zum Krootha-Waaht gehört. Doch stattdessen blieb er weiterhin bewegungslos und schwieg. Er beobachtete, wie sich Bredas Körper nach und nach entkrampfte und das Zittern nachließ. Dabei musste sein Hauptmann große Schmerzen haben, wie Mantor vermutete. Eines musste er ihm lassen. Für einen Menschen hielt sich der Kerl recht gut. 

Als Breda nach einiger Zeit ruhig vor ihm lag, machte Mantor einen Schritt auf ihn zu. Dann beugte er sich zu ihm hinunter, bis sein geöffnetes Maul nur noch eine Handbreite von dessen Gesicht entfernt war. Breda konnte jetzt die messerscharfen Zähne seines Königs aus der Nähe betrachten und seinen Atem riechen. Mantor wusste, was beides bewirkte. Und der Hauptmann enttäuschte ihn nicht. Nach nur wenigen Momenten roch Mantor, dass Breda sich vollgepisst hatte. 

»Missachte nie wieder meine Befehle. Eine zweite Chance wirst du nicht bekommen.« 

Sprachs, drehte sich ab und verschwand langsam in die Schwärze der Nacht, einen jetzt wieder zitternden Breda zurücklassend. 

Mantor hatte Breda am Leben gelassen. Allerdings nur, weil er seines Weges gezogen war, ohne sich noch einmal umzudrehen. Hätte er das getan, wäre Breda jetzt nicht mehr unter den Lebenden. So aber entging dem König der Gesichtsausdruck seines Hauptmanns. Einen Ausdruck, dem jede Form von Ehrfurcht vor seinem König fremd war. 

Die Stadtmauern lagen gerade erst hinter ihm, als die Witterung der Damagoi durch Mantors empfindliche Nase zog. Er hatte Shrooht befohlen, mit seinen Bestien so weit entfernt vor der Stadt zu lagern, dass die Menschen in der Stadt keine Notiz mehr von ihnen nehmen konnten. Seit sie vor kurzem erst in Varontyr ihr Unwesen getrieben und Teile der Stadt verwüstet hatten, waren diese armseligen Zweibeiner nicht gut auf sie zu sprechen. Und obwohl sie Mantor völlig egal waren, brauchte er doch ihre Gunst, wenn er seine Ziele erreichen wollte. 

Mantor stand auf dem höchsten Punkt einer kleinen Anhöhe, als er die Herde endlich sehen konnte. Seine Eliteeinheit. Shrooht saß gemeinsam mit Hauptmann Breda mitten unter ihnen, was selbst für einen Nordbären sehr gewagt aussah. Immerhin handelte es sich bei den Damagoi um einhundert der blutrünstigsten ihrer Art. Wenn ihre geballte Kraft erst einmal ins Rollen kam, würde es für jedes Lebewesen in ihrer Nähe lebensgefährlich werden. Doch Shroohts Ruhe bewies Mantor aufs Neue, dass er nicht nur der Ausbilder dieser Monstren, sondern auch ihr Anführer war. Und er hatte ihnen selbst Breda in allerkürzester Zeit als ihren Freund präsentieren können. Mantor gefiel, was er sah. 

»Seid ihr bereit, den Weg nach Norden einzuschlagen?« 

Als Shrooht Mantors Stimme in seinem Kopf vernahm, sprang er blitzschnell auf und bellte seiner Meute einige Befehl zu, die Mantor nicht verstand. Es hörte sich für ihn an, als hätte Shrooht aus den Lauten der verschiedenen Damagoi-Arten eine eigene Kommandosprache entwickelt, mit der er seine Soldaten fest im Griff hatte. Und wie er sie im Griff hatte. Die Tiere standen derart schnell in Reih und Glied vor ihm, dass Mantor sich einer gewissen Bewunderung für das, was er sah, nicht erwehren konnte. Auf diese Truppe würde er sich verlassen können, so viel war klar. Breda versuchte es derweil, den Damagoi gleichzutun, was allerdings ziemlich planlos aussah, als er seinen Platz in dem ganzen Tohuwabohu suchte Und schließlich neben Shrooht fand.  

»Mein König? Befehlt und wir werden gehorchen!« 

Shrooht brüllte seine Antwort lauthals über die Ebene. Als er dann noch seinen rechten Arm hoch in die Luft reckte, ertönte sofort ein Gebrüll aus sämtlichen Damagoi-Kehlen, die ganz sicher noch in den Kerkern des Schlosses in Varontyr gehört wurden. 

»Das ist genau die Antwort, die ich erwartet hatte.« 

Mantor glaubte nicht, dass Shrooht, Breda oder auch nur eines der zwar starken, jedoch sehr einfach gestrickten Untiere seine Antwort mitbekommen hatte. Doch das war auch nicht wichtig, denn er hatte eh mehr zu sich selbst gesprochen. Doch das folgende sollten sie hören. Sie alle. Und alle sollten sehen, wer da zu ihnen sprach. 

Bewusst langsam richtete sich Mantor auf seine Hinterläufe auf, bis er in voller Pracht vor seiner kleinen Armee stand. Die Meute verstand die Bedeutung dieser Geste sofort und gab augenblicklich Ruhe. Zuerst von links nach rechts und dann von rechts nach links sah Mantor über seine Soldaten, bevor er sie direkt ansprach. Einfache Worte für einfache Wesen, die nur einem Zweck dienten. Sie traten an, um seinen Machtanspruch in seiner Heimat zu unterstreichen. 

»Es wird euer Sieg werden!« 

Mehr als diese fünf Worte brauchte es nicht, um ein erneutes und dieses Mal selbst für Mantor ohrenbetäubendes Gebrüll aus hundert Kehlen zu erzeugen. Die Damagoi brüllten und stampften zeitgleich mit ihren Hufen und Pfoten auf den harten Boden, dass Mantor schon glaubte, sie würden außer Rand und Band geraten. Doch das Ganze dauerte nur so lange, bis Shrooht sich zu ihnen umdrehte und ihnen eines seiner unverständlichen Kommandos entgegenbrüllte. Augenblicklich kehrte wieder Ruhe ein und nur kurz darauf standen sie wieder in Reih und Glied vor ihrem Kommandanten. 

»Ich bin beeindruckt, Shrooht.« 

Mehr gab es nicht zu sagen. 

Mantor ließ sich wieder auf seine vier Beine herabsinken und wandte sich nach Nordwesten. In dieser Richtung lag der Hafen, von wo aus sie ihren Weg über das Nordmeer antreten würden. Dann verfiel er in einen leichten Trab, den er mühelos die nächsten Tage durchhalten konnte, bis er das Meer erreicht hatte. Shrooht mit seiner Meute würde ihm eh nicht folgen können, also würde er seiner Truppe vorauseilen. Er war ein Nordbär und damit in der Lage, Distanzen am Stück zu überwinden, wie es kein anderes Wesen schaffte. 

 

Der schnellste Weg nach Nordhang verlief direkt durch den Mandarwald. Ein Wald, der komplett aus dicht aneinander stehenden, turmhohen Mandarus-Bäumen bestand. Für Mantor stellte das kein Problem dar. Er war allein und wendig genug, um den Wald problemlos zu durchqueren. Die Damagoi allerdings würde hier Gefahr laufen, dass sie sich im Wald trennte und das wollte Mantor nicht riskieren. Er hatte im Vorfeld ihrer Reise zu den Bäreninsel mit Shrooht vereinbart, dass er seine Armee um den Wald herumführen sollte. Auch auf die Gefahr hin, dass er dafür deutlich länger brauchte als sein König. 

Mantor war schon so lange unterwegs, dass das Getrampel seiner Armee seine empfindlichen Ohren nicht mehr erreichte. Er war jetzt allein mit sich und seinen Gedanken. Seine Laune war so gut, wie lange nicht mehr. Er hatte sich geschworen, sich so lange nicht mit den Problemen seines Königseins und zu beschäftigen, bis seine Reise hinter ihm lag. Bis dahin, da war er sich sicher, würde Yak alles genauso machen, wie er es selbst getan hatte. Und so viel gab es ja auch momentan nicht zu tun.  

Am Abend des ersten Tages, Mantor hatte den Wald noch nicht erreicht, legte er seine erste Laufpause ein. Nicht, dass er müde war. Keineswegs. Es wollte nur vermeiden, deutlich früher als Shrooht und die Damagoi Nordhang zu erreichen. In einer Senke, direkt neben einem kleinen Bach, aus dem Mantor ausgiebig trank, ließ er sich nieder. Rings um ihn herum gab es nur die Laute der Natur, die er so lange nicht gehört und DIE ER schmerzlich vermisst hatte, wie ihm jetzt auffiel. Keine dummen Menschen, nicht eine ihrer widerlichen Tölen und auch kein Yak, dem er sagen musste, was er zu tun hatte. Oder den er wieder einmal in die Richtung lenken musste, die Mantor einschlagen wollte und worauf Yak nicht von allein kam. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie anstrengend das alles war und wie viel Zeit er damit verbrachte, Aufgaben zu erledigen, die er eigentlich verabscheute. Hatte er nicht schon als Brocks Oberbefehlshaber und General immer nur politisch agieren müssen, um dorthin zu kommen, wo er jetzt war? Auf dem ihm gebührenden Thron Varons? Und wie sah sein Leben jetzt aus? Noch immer bestand der Großteil seiner Zeit aus Ränkeschmieden und Überzeugungsarbeit. Vor allen Dingen bei Yak. 

Yak. Immer wieder Yak. Ja, er war sein ältester und treuester Freund. Und dazu auch noch der einzige Freund, den Mantor jemals hatte, nachdem ihn Brock von den Bäreninseln nach Varontyr gebracht hatte. Seither hatte er lernen müssen, dass Macht untrennbar mit all dem zu tun hatte, was sein Leben jetzt ausmachte. Zunächst Unterwürfigkeit seinem Herrn gegenüber und später der Aufbau seiner eigenen Macht. Das hatte ihn so weit gebracht, dass er selbst den Tod seines eigenen Bruders in Kauf genommen hatte. 

Als Mantor noch sehr jung war, war Serk sein Vorbild gewesen. Er war damals riesig groß und stärker als jeder andere ihrer Art. Aber obwohl er so stark war und ein hohes Ansehen genoss, hatte Serk keinerlei Führungsansprüche an seine Sippe gestellt. Das war etwas, was der kleine Mantor nicht verstanden hatte. Für ihn bedeutete Kraft immer auch Macht. Und Macht, so glaubte er damals schon, Macht bedeutete frei zu sein und von allen anderen respektiert zu werden. Für ihn war ein Nordbär schon damals nur dann ein wahrhaft großer Nordbär, wenn er große Macht besaß. Und Mantor wollte respektiert werden. Ohne den Respekt aller anderen um ihn herum zu leben, hatte er sich niemals vorstellen können. Dass Serk damals genau dieser Respekt innerhalb der Gemeinschaft aller Nordbären entgegengebracht wurde, hatte Mantor in jungen Jahren nicht verstanden. Oder vielleicht hatte er das damals nur nicht verstehen wollen? Heute wusste er es nicht mehr und jetzt war es auch egal. Serk war tot. Von ihm getötet. Zwar in einem ehrlichen Kampf, aber am Ende doch von ihm. 

Mantors Gedankengänge hatten ihn wütend gemacht. Und dass er jetzt wütend war, machte ihn noch viel wütender. Als es immer mehr in ihm zu brodeln anfing, hörte er plötzlich ein Geräusch, das hier nicht hingehörte. Automatisch erhob er sich, drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam und machte sich zum Kampf bereit. Er spannte seine gewaltigen Muskelberge an, um für jeden Feind noch bedrohlicher auszusehen. Dabei standen seine Ohren senkrecht und nach vorn gerichtet. Doch als nächstes nahm er eine ihm vertraute Witterung auf, die seinen inneren Alarm abschwächte. Allerdings… 

Was bei Thorandt und Setha machte Breda hier? 

Kurz darauf sah Mantor den Hauptmann auf seinem Pferd am Rand der Senke. Und da Mantors weißer Pelz von dort aus nicht sicher zu übersehen war, fand auch Breda sein Ziel sogleich. Er stieß seinem Pferd die Stiefel in die Flanken und ritt seinem König entgegen. Mantor ließ ihn gewähren, ohne dass er Breda ansprach. Doch mit jedem Schritt, den sich sein Hauptmann ihm näherte, wuchs seine Wut ein Stück mehr an. Seine Befehle waren klar gewesen. Shrooht und Breda sollten gemeinsam die Damagoi bis nach Nordhang führen, während er die Abkürzung durch den Mandarwald nehmen würde. Und diese Entscheidung war nicht nur den Damagoi geschuldet. Vielmehr hatte Mantor sich darauf gefreut, einige Tage allein unterwegs zu sein. Ohne Verpflichtungen, ohne Verantwortung für andere und ohne, dass er Befehle erteilen musste. Und jetzt stand dieser Trottel von einem Zweibeiner mit seinem Gaul vor ihm und grinste ihn dämlich an. Gerade so, als würde er auch noch eine Belobigung dafür erwarten, dass er seinem König gefolgt war. Was glaubte dieser Idiot eigentlich, wer er war? Ging er vielleicht davon aus, dass Mantor ihn bevorzugt behandeln würde, weil er ihm vor ihrer Abreise Honig ums Maul geschmiert hatte? Oder hatte er das beim Anlegen der Rüstung nur getan, um an seiner Seite stehen zu dürfen? 

»Mein König!« 

Mit einem Satz war Breda aus dem Sattel gesprungen und kniete sogleich demütig vor seinem König nieder. Seinen Kopf hielt er zu Boden gesenkt und seine rechte Hand lag zur Faust geballt auf seinem Herzen. Mantor wusste, dass Breda so lange in dieser Stellung verharren würde, bis er ihn ansprach. Aber er dachte gar nicht daran, ihm diese Gunst zu erweisen. Von ihm aus konnte der Kerl verrotten und umkippen, sobald ihn seine Beine nicht mehr trugen. Und das war durchaus eine Gunst, die er diesem erbärmlichen Menschen erwies. Hätte er in diesem Moment seinem Zorn freie Bahn gelassen, wäre in seiner Leibgarde der Posten eines Hauptmanns frei geworden. 

Es war ein skurriles Bild. Ein Mensch kniete in demütiger Haltung vor einem Nordbären, der beinahe so groß wie das Pferd war. Und genau wie Mantor es geahnt hatte, sah er schon bald mit Vergnügen, dass Bredas Körper zu zittern begann. Es amüsierte ihn königlich, wieder einmal die Unzulänglichkeit eines menschlichen Körpers vorgeführt zu bekommen. Er selbst hingegen stand wie in Stein gemeißelt da und dachte nicht im Traum daran, diesen jämmerlichen Kerl zu erlösen. Er war entgegen seinem Befehl hier und nun würde er spüren, was es bedeutete, wenn man sich nicht an seine Befehle hielt.  

Sie Sonne stand bereits ein beträchtliches Stück weiter im Westen, als das Pferd zum Bach trottete, um zu saufen. Breda hingegen kniete noch immer vor ihm. Nur dass sein Körper mittlerweile zitterte, wie ein Lämmerschwanz und ihm der Schweiß von der Nasenspitze tropfte. Mantor hatte seinen Spaß an dem Bild. Er wollte sehen, wie der Kerl aufgab, alles andere interessierte ihn jetzt nicht mehr. Und was er dann machen würde… Nun. Erst einmal sollte er zusammenbrechen. Der Rest würde aus seiner Laune heraus entstehen. 

Doch Breda war ein zäher Hund, Zittern hin oder her. Mantor war sicher, dass sein Hauptmann die Situation richtig gedeutet hatte. Anderenfalls hätte er längst unter irgendeinem Vorwand zumindest seinen Kopf angehoben, um Mantor anzusehen. Doch den Gefallen tat er seinem König nicht. Doch das war Mantor egal. Nordbären konnten stundenlang bewegungslos bleiben, um auf der Jagd ihre Beute zu beobachten. Und das hier machte ihm deutlich mehr Spaß als eine Jagd. 

Als die Sonne im Westen den Horizont berührte und die beiden Monde ihre Umrisse am abendlichen Himmel zeigten, waren Bredas Reserven endgültig am Ende. Wie in Zeitlupe kippte er lautlos zur Seite. Nach der langen Haltung in knieender Stellung war sein Körper derart verkrampft, dass er jetzt in gleicher Stellung am Boden lag, in der er vorher gekniet hatte. Hätte Mantor laut lachen können, hätte man sein Gegröle bis zum Krootha-Waaht gehört. Doch stattdessen blieb er weiterhin bewegungslos und schwieg. Er beobachtete, wie sich Bredas Körper nach und nach entkrampfte und das Zittern nachließ. Dabei musste sein Hauptmann große Schmerzen haben, wie Mantor vermutete. Eines musste er ihm lassen. Für einen Menschen hielt sich der Kerl recht gut. 

Als Breda nach einiger Zeit ruhig vor ihm lag, machte Mantor einen Schritt auf ihn zu. Dann beugte er sich zu ihm hinunter, bis sein geöffnetes Maul nur noch eine Handbreite von dessen Gesicht entfernt war. Breda konnte jetzt die messerscharfen Zähne seines Königs aus der Nähe betrachten und seinen Atem riechen. Mantor wusste, was beides bewirkte. Und der Hauptmann enttäuschte ihn nicht. Nach nur wenigen Momenten roch Mantor, dass Breda sich vollgepisst hatte. 

»Missachte nie wieder meine Befehle. Eine zweite Chance wirst du nicht bekommen.« 

Sprachs, drehte sich ab und verschwand langsam in die Schwärze der Nacht, einen jetzt wieder zitternden Breda zurücklassend. 

Mantor hatte Breda am Leben gelassen. Allerdings nur, weil er seines Weges gezogen war, ohne sich noch einmal umzudrehen. Hätte er das getan, wäre Breda jetzt nicht mehr unter den Lebenden. So aber entging dem König der Gesichtsausdruck seines Hauptmanns. Einen Ausdruck, dem jede Form von Ehrfurcht vor seinem König fremd war. 

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